XFEL: Röntgenlaser zeigt Entstehung von Strahlungsschäden

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06.12.2021
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Röntgenlaser zeigt Entstehung von Strahlungsschäden

Doppelbeschuss enthüllt Details beim Zerfall von Wassermolekülen

An der SQS-Experimentierstation des European XFEL hat ein internationales Forschungsteam neue Einblicke in die Entstehung von Strahlenschäden in biologischem Gewebe gewonnen. Die Untersuchung enthüllt erstmals im Detail, auf welche Weise Wassermoleküle durch energiereiche Strahlung in potenziell gefährliche elektrisch geladene Ionen auseinanderbrechen, die im Organismus dann schädliche Reaktionen auslösen können. Das Team um Maria Novella Piancastelli und Renaud Guillemin von der Pariser Sorbonne, Ludger Inhester von DESY und Till Jahnke von European XFEL stellt seine Beobachtungen und Analysen im Fachblatt „Physical Review X“ vor. 

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Nach der Absorption eines Röntgenphotons kann sich das Wassermolekül so weit aufbiegen, dass sich nach nur etwa zehn Femtosekunden (billiardstel Sekunden) beide Wasserstoffatome (grau) gegenüberstehen, mit dem Sauerstoffatom (rot) in der Mitte. Diese Bewegung lässt sich durch die Absorption eines zweiten Röntgenphotons untersuchen. Bild: DESY, Ludger Inhester

Da Wasser in jedem bekannten Organismus vorkommt, steht diese sogenannte Photolyse von Wasser oft am Beginn der Entstehung von Strahlenschäden. „Die Kette von Reaktionen, die von energiereicher Strahlung im Körper ausgelöst werden kann, ist allerdings bis heute nicht voll verstanden“, erläutert Inhester. „So ist es bereits sehr schwierig, die Entstehung einzelner Ionen und Radikale in Wasser zu verfolgen, die nach der Absorption hochenergetischer Strahlung entstehen.“

Um diese Abfolge zu untersuchen, beschossen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Wasserdampf mit den intensiven Blitzen des Röntgenlasers. Wassermoleküle zerfallen normalerweise bereits durch die Absorption eines einzelnen derart energiereichen Röntgenphotons. „Durch die besonders intensiven Blitze des Röntgenlasers war es sogar möglich, Wassermoleküle zu beobachten, die nicht nur ein, sondern zwei oder noch mehr Röntgenphotonen absorbieren, bevor sie zerbrechen“, berichtet Inhester. Das ermöglicht den Forschenden einen Blick darauf, was im Molekül nach der ersten Absorption eines Röntgenphotons vor sich geht.

„Die Bewegung des Moleküls zwischen zwei Absorptionen hinterlässt einen eindeutigen Fingerabdruck, das heißt, die Bruchstücke des Moleküls fliegen auf ganz spezifische, unverkennbare Art und Weise auseinander“, sagt Piancastelli. „Durch die genaue Analyse dieses Fingerabdrucks sowie detaillierte Simulationen konnten wir daher Rückschlüsse auf die ultra-schnelle Dynamik des Wassermoleküls nach der Absorption des ersten Röntgenphotons gewinnen.“ Flugrichtungen und -geschwindigkeiten der Bruchstücke hat das Team mit einem sogenannten Reaktionsmikroskop gemessen. Auf diese Weise war es möglich, das nur wenige Femtosekunden (billiardstel Sekunden) dauernde Zerbrechen des Wassermoleküls wie in einem Film darzustellen.

Der Zerfall des Wassermoleküls (H2O) kann demnach deutlich komplexer ablaufen als zunächst erwartet. Das Molekül beginnt sich zu dehnen und zu strecken, bevor es schließlich auseinanderbricht. Die beiden Wasserstoffatome (H), die normalerweise im Winkel von 104 Grad am Sauerstoffatom (O) hängen, können sich dabei so weit aufschaukeln, dass sie sich nach nur zehn Femtosekunden mit rund 180 Grad gerade gegenüberstehen. Das Sauerstoffatom wird dadurch beim Zerbrechen des Moleküls nicht so stark weggeschleudert, weil sich die Impulse der beiden wegfliegenden Wasserstoffkerne weitgehend ausgleichen und der Sauerstoff weitgehend ruhend in der Mitte bleibt. In wässriger Umgebung kann dieses dann leichter zu weiteren potentiell schädlichen chemischen Reaktionen führen.

„In unserer Arbeit ist es zum ersten Mal gelungen, die Dynamik eines Wassermoleküls nach Absorption hochenergetischer Strahlung genauer zu betrachten“, sagt Inhester, der im Center for Free-Electron Laser Science (CFEL) arbeitet, einer Kooperation von DESY, Universität Hamburg und der Max-Planck-Gesellschaft. „Wir konnten insbesondere die Entstehung der Sauerstoff- und Wasserstoffionen und Radikale sowie den Zeitablauf dieses Vorgangs genauer charakterisieren. Dieser Zerfallsprozess des Wassermoleküls ist ein wichtiger initialer Schritt für weitere Reaktionsketten, die am Ende zu Strahlungsschäden führen.“

Die Analyse ergänzt das Bild von der Strahlungswirkung auf Wasser. Eine vorangegangene Studie, an der Mitglieder desselben Teams beteiligt waren, hatte die Entstehung sogenannter freier Radikale durch weniger energiereiche Strahlung in Wasser detailliert erkundet. Die dabei beobachteten Prozesse haben eine ähnliche Dynamik wie die Sekundärprozesse in der jetzt untersuchten Absorption hochenergetischer Strahlung. Die neu gewonnenen Einsichten adressieren elementare Fragen über Reaktionsdynamiken in Wasser, zu deren weiterer Erforschung derzeit das Centre for Molecular Water Science (CMWS) mit internationalen Partnern bei DESY aufgebaut wird.

„Die Experimente an einzelnen Wassermolekülen gehörten zu den ersten, die wir mit dem neuen COLTRIMS-Reaktionsmikroskop an der SQS-Experimentierstation durchgeführt haben. Die Ergebnisse zeigen, dass wir auch andere Lösungsmittel und Moleküle mit komplexerer Struktur, wie Ethanol oder zyklische Verbindungen untersuchen können, die in der Chemie und anderen Disziplinen von großem Interesse sind“, erklärt Till Jahnke.

An der aktuellen Untersuchung waren Forscherinnen und Forscher der Universitäten Frankfurt am Main, Freiburg, Hamburg und Kassel sowie Göteborg, Lund und Uppsala in Schweden und Turku in Finnland beteiligt sowie vom Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft und dem Max-Planck-Institut für Kernphysik, vom Lawrence Berkeley National Laboratory und der Kansas State University in den USA, dem Nationalen Forschungsrat und der Technischen Universität Mailand in Italien, der Sorbonne in Paris, European XFEL und von DESY.

Originalveröffentlichung

Inner-Shell-Ionization-Induced Femtosecond Structural Dynamics of Water Molecules Imaged at an X-Ray Free-Electron Laser ; T. Jahnke, R. Guillemin, L. Inhester, et al.; „Physical Review X“, 2021; DOI: https://doi.org/10.1103/PhysRevX.11.041044

Beispiel für die rekonstruierte Dynamik eines Wassermoleküls bei der Absorption zweier energiereicher Röntgenphotonen bis zum Auseinanderbrechen. Die beiden Absorptionsschritte werden durch Farbwechsel des Sauerstoffatoms symbolisiert. Animation: DESY, Ludger Inhester