XFEL: Momentaufnahmen von explodierendem Sauerstoff

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09.06.2020
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Momentaufnahmen von explodierendem Sauerstoff

Erste Veröffentlichung von Experimenten an der SQS-Experimentierstation zu ultraschnellem Bindungsbruch

 

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Das Forschungsteam am SQS-Instrument bei European XFEL. Foto: Markus Schöffler, Uni Frankfurt.

Wie in einem heute in der Zeitschrift Physical Review X veröffentlichten Artikel beschrieben, ist es einer internationalen Kollaboration von Wissenschaftlern unter der Leitung von Till Jahnke von der Goethe Universität Frankfurt gelungen, das ultraschnelle Aufbrechen einzelner Sauerstoffmoleküle zu beobachten. Das Experiment an der Small Quantum Systems-Experimentierstation (SQS) am European XFEL zeigt das große Potenzial von Photoelektronenbeugung für die Abbildung kleiner Moleküle.

Wissenschaftler träumen schon lange davon, die Bewegungen in einzelnen Molekülen genau beobachten zu können, wie beispielsweise Änderungen der Struktur oder die Bildung und das Brechen einzelner Bindungen. Diese winzigen Bewegungen sind jedoch extrem schnell. Sie im Detail zu erfassen würde das Wissen über solche Prozesse erweitern und könnte den Forschenden möglicherweise auch Werkzeuge an die Hand geben, um das Verhalten der Moleküle zu steuern.

Verschiedene Methoden ermöglichen bereits Momentaufnahmen von Molekülen. Während beispielsweise die Röntgenbeugung eine relativ gut etablierte Methode zur Untersuchung von Nanopartikeln ist, stellt die Beobachtung kleiner gasförmiger Moleküle mit nur wenigen Atomen immer noch eine große Herausforderung dar. Die Bewegung der einzelnen Atome ist so schnell, dass extrem helle, kurze Lichtblitze benötigt werden, um die Details genau zu erfassen. An der SQS Experimentierstation, die im November 2018 den Nutzerbetrieb aufgenommen hat, können Forscherinnen und Forscher erstmalig hohe Wiederholungsraten der Lichtblitze für detaillierte Studien an einzelnen Molekülen nutzen.

Anstatt die Röntgenphotonen - wie bei Beugungsexperimenten üblich - direkt zu verwenden, bedienten sich die Wissenschaftler eines Tricks: Sie nutzten stattdessen die herausgeschlagenen Photoelektronen, um die Prozesse in den Sauerstoffmolekülen zu untersuchen. Wie alle sehr kleinen Objekte können Elektronen sowohl als Teilchen, als auch als Wellen betrachtet werden. Ähnlich wie bei einem Sonar, das mit Schallwellen die Umgebung eines U-Boots abtastet, können die Elektronenwellen, die beim Auftreffen der intensiven Röntgenimpulse auf das Molekül entstehen, dazu verwendet werden, die Moleküle "von innen" abzubilden.

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Scheme of photoelectron diffraction imaging during Coulomb explosion of O2. (a) A K-shell electron is ionized upon irradiation with XFEL light. (b) After the innershell vacancy has been filled after a first Auger decay, the molecule is doubly charged and fragments in a Coulomb explosion. (c) During the fragmentation a second photon triggers the emission of another K-shell electron illuminating the molecule from within. (d) A further, subsequent Auger decay yields the observed final O+/O3+ state in which the Coulomb explosion continues until the ions are well separated and finally detected. Steps (a) to (c) occur during a single XFEL light pulse, i.e., within approximately 25 fs. Copyright: Kastirke et al

Aufgrund der hohen Intensität der European-XFEL-Röntgenpulse war es sogar möglich, mit einem Lichtpuls zwei Photoelektronen desselben Moleküls zu emittieren. Die erste Elektronenemission leitet dabei das Aufbrechen der Bindung ein, während das zweite Elektron das Molekül während der Explosion sondiert. Da die Elektronenwelle von einem Atomort emittiert und vom anderen Atom des zweiatomigen Sauerstoffmoleküls gebeugt wird, können Informationen über den Bindungsabstand der beiden Sauerstoffatome gesammelt werden. Da die zweite Ionisation zu verschiedenen Zeitpunkten der Explosion und damit bei unterschiedlichem Atomabstand erfolgte, konnte das Forscherteam mehrere Elektronenbeugungsbilder aufnehmen und die ersten 20 Femtosekunden des Aufbrechens des Moleküls filmen. "Der Schlüssel zum Erfolg dieses Experiments waren die sehr kurzen und sehr intensiven weichen Röntgenblitze, die vom European XFEL erzeugt wurden", sagt Till Jahnke, der das Experiment an der SQS-Experimentierstation leitete. "Unsere Ergebnisse lassen darauf schließen, dass diese Methode verwendet werden kann, um solche Prozesse des Aufbrechens von Bindungen auch in anderen Molekülen zu untersuchen und abzubilden. Auf die weitere Entwicklung sind wir sehr gespannt.“

Als nächstes möchten die Forschenden mit dieser Methode eine Reihe detaillierter Momentaufnahmen der Bewegung und Struktur eines Moleküls in verschiedenen Zeitintervallen während einer Reaktion zu einen Film der atomaren Bewegung zusammenfügen.

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The REMI microscope at the SQS instrument which was used to carry out the current study. Copyright: European XFEL

Michael Meyer, leitender Wissenschaftler bei SQS, sagte: "Wir freuen uns besonders über diese erste Veröffentlichung eines Nutzerexperiments bei SQS! Die Ergebnisse zeigen das große Potenzial und die neuen experimentellen Möglichkeiten unserer Experimentierstation. Sie bietet alle Voraussetzungen für die Untersuchung photochemischer Prozesse in noch nie dagewesener Detailschärfe, und wir freuen uns auf weitere Experimente mit unseren Nutzern. Mit mehreren tausend Blitzen pro Sekunde können wir Daten nicht nur viel schneller als je zuvor sammeln, sondern auch die Datenqualität verbessern. Das ist besonders wichtig für gasförmige Proben mit niedriger Dichte, weil diese schwächere Signale liefern als konzentrierte Proben und deshalb spezielle experimentelle Techniken erfordern.“

REMI-Reaktionsmikroskop bei SQS

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Scheme of a reaction microscope. The molecules are delivered into the interaction region in a supersonic gas jet. The X-ray pulse from the European XFEL hits one of the molecules, creating multiple ions and electrons. Those are guided towards two time- and position-sensitive detectors on opposite sides of a spectrometer by static electric and magnetic fields. In this way, 3D momenta of all recorded particles can be obtained, making it possible to reconstruct the molecular structure by momentum conservation. Copyright: Jahnke, Goethe Universität Frankfurt.
Das Experiment wurde mit Hilfe des Reaktionsmikroskops (REMI) durchgeführt, das ein Teil der SQS-Experimentierstation ist. Das REMI verwendet statische elektrische und magnetische Felder, um ionische Teilchen und Elektronen zu Detektoren auf gegenüberliegenden Seiten eines Spektrometers zu leiten. Aus den aufgezeichneten Momenten der Teilchen können deren Emissionsrichtungen und -energien sowie relative Winkel berechnet werden. Im vorliegenden Experiment wurden zwei Ionen und zwei Elektronen aufgenommen, die vom gleichen Molekül emittiert wurden – ein sehr anspruchsvolles Experiment, das sehr gut vorbereitete experimentelle Bedingungen wie zum Beispiel ein Ultrahochvakuum erfordert. Das REMI ist ein vom BMBF geförderter Beitrag der Goethe-Universität Frankfurt.


Original Paper:

Gregor Kastirke et al. "Photoelectron Diffraction Imaging of a Molecular Breakup Using an X-Ray Free-Electron Laser" Phys. Rev. X 10, 021052 DOI:https://doi.org/10.1103/PhysRevX.10.021052

Press release Goethe University Frankfurt:

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