XFEL: Direkte experimentelle Nachweise für mit Nobelpreis ausgezeichnete Theorien
Direkte experimentelle Nachweise für mit Nobelpreis ausgezeichnete Theorien
Am 9. Oktober erhielten Martin Karplus, Arieh Warshel und Michael Levitt den Nobelpreis in Chemie für ihre Arbeiten zu Modellierung von Molekülstrukturen. Ihre Computersimulationen von chemischen Reaktionen bilden die Grundlage für Theorien, die das Verständnis von Chemie verändert und nachhaltig geprägt haben. Der European XFEL wird Wissenschaftlern ermöglichen, diese theoretischen Arbeiten mit direkten experimentellen Messdaten weiter zu untermauern.
Chemische Reaktionen laufen fast unvorstellbar schnell ab. In einem winzigen Bruchteil einer Sekunde kann ein großes Molekül, zum Beispiel ein Enzym, viele hochkomplexe Reaktionen ausführen. Die Simulationen von Karplus, Warshel und Levitt zeigen detailliert, was in diesen Sekundenbruchteilen auf atomare Ebene abläuft.
Mit seinen 27000 Blitzen pro Sekunde wird der European XFEL gestochen scharfe Bilder mit atomgenauer Auflösung von chemischen Reaktionen und Abläufen liefern können.
„Die Aufgabe von Röntgenquellen mit sehr hoher Leuchtstärke ist es, direkte experimentelle Daten von Abläufen in komplexen Systemen zu liefern, zu denen katalytische chemische Reaktionen und biochemische Prozesse zählen“, sagt Massimo Altarelli, Vorsitzender der Geschäftsführung von European XFEL. „Wir können damit Mechanismen untersuchen, die bislang nur durch die von Karplus, Warshel und Levitt entwickelten Computersimulationen zugänglich sind.“
Instrumente wie das Femtosekunden X-ray Experiment (FXE) oder das Single Particles, Clusters, and Biomolecules (SPB) Instrument werden die hellen Röntgenstrahlen und die große Zahl der Lichtblitze nutzen. Dabei möchten die Forscher insbesondere Veränderungen der die Atome verbindenden Elektronenwolken, die dabei auftretenden Quanteneffekte sowie die Auswirkungen von Wechselwirkungen mit anderen Molekülen untersuchen.

Mit den Instrumenten des European XFEL lassen sich ultraschnell ablaufende molekulare Wechselwirkungen beobachten und auswerten. Hier arbeitet European XFEL Wissenschaftler Andreas Galler mit einem Femtosekunden-Lasersystem für das Instrument FXE. European XFEL | Zum Vergrößern auf das Bild klicken.
„Mit Lichtquellen wir dem künftigen European XFEL haben wir die Chance, solche Systeme experimentell zu beobachten, und vielleicht sogar zu verstehen, wie sie sich entwickeln. Das führt zu neuen Erkenntnissen in der Strukturbiologie oder ermöglicht es, extrem schnell ablaufende Reaktionen zu beobachten“, erklärt der European XFEL-Wissenschaftler Adrian Mancuso. Mancuso ist verantwortlich für das SPB-Instrument, das Einzelpartikel wie winzige Nanokristalle bestehend aus Biomolekülen, ganze Zellen, Materialpartikel und letztendlich auch einzelne Biomoleküle abbilden soll.
Die experimentellen Daten von SPB und fünf anderen Instrumenten am European XFEL werden Aufschluss geben über den zeitlichen Ablauf von strukturellen Veränderungen – ebenso wie sich mit einer Reihe von nacheinander aufgenommenen Einzelbildern im Film eine Bewegung abbilden lässt. So werden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am European XFEL Filme von chemischen Reaktionen oder biologischen Prozessen aufnehmen und anschließend in extremer Zeitlupe abspielen können, was Detailaufnahmen von bisher unbekannter Schärfe ermöglicht.
Diese Filme werden den Simulationen mit den von Karplus, Warsehl und Levitt entwickelten Methoden ähneln. Für diese hatten die Wissenschaftler die Konzepte der Quantenphysik mit denen der klassischen Physik verbunden um zu erklären, wie Moleküle miteinander reagieren – ein für die Chemie damals neuer Ansatz. Der European XFEL kann weitere Details dazu liefern, wie diese beiden Modelle auf molekularer Ebene wechselwirken.
„Eine der zentralen Aufgaben des FXE-Instruments ist es, auf Basis von experimentellen Daten Molekülbewegungen in einem Hochgeschwindigkeitsfilm abzubilden, der dann mit den theoretischen Modellen der diesjährigen Nobelpreisträger verglichen werden kann“, sagt Christian Bressler, der mit seiner Gruppe für die Entwicklung des Instruments verantwortlich ist. „Unser Film würde nicht nur detaillierte Informationen zu den entstehenden atomaren Strukturen der Moleküle enthalten, sondern auch zu ihrem inneren Quantenzustand, der letztlich diese Abläufe antreibt und steuert.“
Neben FXE und SPB werden vier weitere Instrumente ebenfalls Untersuchungen auf diesem Gebiet ermöglichen, wobei das Anwendungsgebiet vom Verhalten von Atomen in verdünnten Gasen bis hin zu extremen Zuständen der Materie reicht, wie sie im Inneren von Planeten vorkommt.
Wenn der European XFEL 2016 den Nutzerbetrieb aufnimmt, werden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschiedlicher Fachrichtungen mit diesen Instrumenten forschen und mit experimentellen Daten auch einige Arbeiten der diesjährigen Nobelpreisträger weiter untermauern können.