Anwendungsbereich

Die Forschung an Röntgenlasern erschließt neue Forschungsgebiete und umfasst Studien in vielen Disziplinen.

Anwendungsbereich

Gesundheit und Biologie

Wer mit Hilfe von Röntgenstrahlen herausfinden möchte, wie die Atome in einem Molekül oder Material angeordnet sind, benötigt bislang Kristalle, denn hier befinden sich die Atome oder Moleküle in regelmäßiger Anordnung mit gleicher räumlicher Orientierung. Biomoleküle zu kristallisieren ist jedoch alles andere als  einfach: Oft dauert es Jahre oder gar Jahrzehnte, Kristalle in ausreichender Größe und Qualität für die Untersuchung an Synchrotronen zu gewinnen, während die nachfolgenden Schritte sehr  viel schneller gelangen.

Eine qualitative Verbesserung gegenüber Synchrotronen konnte mit Röntgenlasern bei der Untersuchung sehr kleiner Kristalle (ein Mikrometer oder weniger) bereits erzielt werden: Am LCLS in Kalifornien entschlüsselten Forscher durch Messung an Nanokristallen bei Raumtemperatur die zuvor unbekannte Struktur eines Proteins, der Cystein-Protease Cathepsin B. Das Protein ist lebensnotwendig für den Erreger der Schlafkrankheit, an der in Afrika 30.000 Menschen im Jahr sterben. Die Forscher hoffen, dass das neue Wissen zu einer neuen Therapie gegen den Erreger führt.

Die Lichtimpulse des European XFEL werden die Strukturaufklärung mit Nanokristallen deutlich verbessern. Erwartet wird auch, dass sie den Weg ebnen für den großen Traum der Strukturbiologie: die Strukturbestimmung anhand von einzelnen, nicht kristallisierten Molekülen.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erhoffen sich mit dem European XFEL deshalb ein extrem effizientes Werkzeug zur Strukturbestimmung, mit dem sie in kürzerer Zeit und mit wenig Aufwand eine große Zahl von Strukturen bestimmen können – beispielsweise von Membranproteinen, aus denen sich nur schwer Kristalle mit einer Größe von mehr als einem Mikrometer züchten lassen. So wird der European XFEL unser Verständnis von Krankheitserregern und die Entwicklung von Arzneimitteln deutlich voranbringen.

Biomoleküle sind die die Maschinen des Lebens. Wie mechanische Maschinen mit beweglichen Teilen verändern sie ihre Struktur, während sie ihre Aufgabe erfüllen. Diese Veränderungen verfolgen und wie in einem Film ansehen zu können, wäre sehr aufschlussreich. Um von einem bewegten Objekt einen Film herzustellen, benötigt man viele Einzelbilder. Je schneller die Bewegung ist, desto kürzer muss die Belichtungszeit sein – sonst werden die Bilder unscharf – und desto mehr Bilder werden benötigt. Die ultrakurzen Lichtblitze des European XFEK werden solche scharfen Bilder von sehr schnellen Prozessen ermöglichen.

Energie

Von der Sonne gelangen gewaltige Mengen Energie zur Erde. Die saubere, wirtschaftliche und verlässliche Nutzung dieser im Überfluss vorhandenen Energie ist ein Zukunftstraum. Die direkte Nutzung der Sonnenenergie zur Stromerzeugung (mittels Photovoltaik-Anlagen) oder zur Wärmegewinnung (mittels Solarthermie) erfordert es, die Energie zu speichern, da der Produktionszyklus (hoch tagsüber, an klaren Tagen und im Sommer – niedrig nachts, bei Regen und im Winter) nicht mit dem entsprechenden Bedarfszyklus übereinstimmt. Derzeit ist die Speicherung von Energie wenig effizient und teuer, was den Einsatz von Solarthermie und Photovoltaik wie auch Windenergie einschränkt.

Um diese Probleme  zu lösen, versuchen viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – inspiriert von der natürlichen Photosynthese in Pflanzen – Prozesse zu optimieren, die Sonnenenergie zur Produktion von speicherbaren und transportierbaren Brennstoffen zu nutzen. Pflanzen spalten mit Hilfe der Sonnenenergie Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff. Letzterer wird weiter in ein Proton und ein Elektron gespalten; die Rückverwandlung in Wasserstoff liefert die Energie für weitere Reaktionen, die das Leben und Wachstum von Pflanzen ermöglichen. Könnte man diesen Prozess imitieren, ließe sich der Wasserstoff aus dem Wasser nutzen, um aus Kohlendioxid die Treibstoffe Methanol und Methan zu erzeugen.

Die von Röntgenlasern eröffnete Möglichkeit, einzelne Schritte eines chemischen Prozesses in Zeitlupe zu verfolgen, lässt auf neue Erkenntnisse zur effizienten Spaltung von Wasser in Pflanzen hoffen. Die einzigartigen Eigenschaften des European XFEL könnten hierbei eine wichtige Rolle spielen und die Basis schaffen für eine optimierte Photosynthese im industriellen Maßstab, mit der Wasserstoff und flüssige Treibstoffe aus billigen und weitverbreiteten Ausgangsstoffen wie Sonnenlicht, Wasser, Kohlendioxid und Leichtmetallen gewonnen werden können.

Materialien und Prozesse

Katalysatoren haben schon seit mindestens 100 Jahren eine fundamentale Bedeutung für die chemische Industrie. Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelten Fritz Haber und Carl Bosch Katalysatoren, um die Effizienz der Ammoniakherstellung aus Stickstoff und Wasserstoff zu steigern. Damit legten sie den Grundstein für die industrielle Erzeugung von synthetischen Düngemitteln. Heute werden Katalysatoren auch eingesetzt, um den Schadstoffausstoß von Autos zu begrenzen, und sie spielen eine grundlegende Rolle in der petrochemischen Industrie sowie bei vielen weiteren Anwendungen. Ihr Marktvolumen liegt bei vielen Milliarden Euro.

Die Entwicklung und Verbesserung von Materialien für modernste Technologien stellt die Forschenden vor Herausforderungen, zu deren Lösung Röntgenlaser ebenfalls beitragen können. Fortschritte in der Informationstechnologie beispielsweise hängen von den Möglichkeiten ab, Daten auf immer kleinerem Raum zu speichern, so schnell wie möglich zu schreiben und wieder auszulesen. Heutige Festplatten nutzen mehrschichtige magnetische Materialien, in denen das winzige magnetische Moment eines jeden Korns in der obersten Schicht in Richtung oben oder unten magnetisiert werden kann, entsprechend „0“ oder „1“, was einem Bit an Informationen entspricht. Geschrieben wird meist durch die Einwirkung von Magnetfeldern; gelesen wird durch Messung des elektrischen Widerstands, der von der Orientierung des magnetischen Moments der obersten Schicht abhängt. In den vergangenen Jahren entdeckte man, dass ein kurzer Laserpuls mit zirkular polarisiertem Licht, das wie eine Schraube mit  Rechts- und Linksgewinde zwei unterschiedliche Drehrichtungen hat, durch Veränderung der magnetischen Polarität ebenfalls Daten in eine Probe schreiben kann, und zwar mit höchster Geschwindigkeit. Am European XFEL wird mit einer speziellen Apparatur zirkular polarisiertes Licht erzeugt, mit deren Hilfe Forschende die Magnetisierung von Proben kartieren und deren zeitliche Entwicklung verfolgen können. Dadurch lässt sich besser verstehen, wie die Magnetisierung von Datenträgern mit Hilfe von optischen Laserpulsen ultraschnell gelöscht und wiederbeschrieben werden kann. Gleichzeitig wird die Forschung am European XFEL dazu beitragen, den genauen Ablauf dieses Prozesses zu entschlüsseln und die Geschwindigkeit der magnetischen Datenerfassung und –aufzeichnung bis an ihre physikalischen Grenzen zu erhöhen. Dies ist nicht nur für den Fortschritt in der Informationstechnologie von zentraler Bedeutung, sondern auch für die Entwicklung zahlreicher Anwendungen und Produkte in Wissenschaft und Technik.